Nr. 61 Psychologie – Praktische
Umsetzung (III)
3. Das Problem des Durchschnitts
Gemeinerweise ziehen niedrige Einzel-Durchschnitte den
GD stark nach unten - und da die meisten von uns geradezu
Durchschnitts-Fetischisten sind, ist die Gemütslage
dementsprechend down. Mein dringlicher Rat:
Befreien Sie sich von dem besorgten Nachdenken über
Durchschnitte, sei es für die einzelne Partie, sei
es
für das Turnier, sei es für die Saison.
Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig das ist, gleichzeitig
aber auch wie schwer, angesichts der Tatsache, dass wir alle die
eigene Wertigkeit und die der anderen auf billard-sportlichem
Gebiet sofort nach dem GD einordnen. Es geht hier, um es ganz
deutlich zu sagen, wieder einmal um Fragen der Eitelkeit.
Leider wird der GD auch manchmal, m. E. zu Unrecht, benutzt, um
die Zulassung zu Turnieren zu regeln, was dazu führen kann,
dass nicht der Gesamtsieger anschließend in der höheren
Klasse startberechtigt ist sondern der Zweite oder Dritte.
Damit wir uns nicht mißverstehen:
1. Natürlich ist der Durchschnitt, auf längere Zeit
gesehen, ein Gradmesser für die Spielstärke –
aber nicht einmal das unbedingt, wie Sie aus der Tatsache eintnehmen
können, dass die Weltranglisten nach Punkten und nach GD
nicht identisch sind.
2. Hundertstel-Stellen beim GD sollten Sie überhaupt nicht
beachten. Ob 0.93 oder 0.96, das ist völlig egal. Und wenn
Sie über 1.0 spielen, bedeutet selbst 1/10
Diffe-renz kaum etwas.
3. Wenn Ihre Schwankungsbreite besonders groß ist, sagen
wir mal zwischen 0.4 bis 1.8 bei einem GD von ca. 0.9, sollten
Sie sich freuen, denn das zeigt erstens Ihr Potential an, zweitens
haben Sie, rein statistisch gesehen, bessere Chancen gegen Weltklassespieler.
4. Solange Sie sich in der Entwicklung befinden, brauchen Sie
mehr oder weniger längere Phasen für das Auspro-bieren,
Einschleifen, die geistige Bewältigung. Das ist oft mit scheinbaren
Rückschlägen verbunden. Wenn Sie da immer nur auf Einzel
und Generaldurschnitte schielen, werden Sie viel zu früh
Abstand nehmen und sich so u. U. echter Chancen berauben. Beachte:
Manches braucht Monate, in seltenen Fälle sogar 1 bis 2 Jahre.
5. Wenn Sie näheres über die Durchschnitts-Problematik
wissen möchten, kann ich Ihnen das kürzlich erschienene
Buch von F. Caudron "Le Billard en Expansion" empfehlen,
insbesondere Kap. 9 über Statistik des Spiels.
4. Glück und Pech
sind nur eine andere Aussageform des "Auf und Ab". Ob
der Ball einige Zentimeter weiter läuft oder nicht, kann
aus einem Sitzer einen unmöglichen Ball machen. Der eine
kann serienweise glückliche Fortsetzungen haben, der andere
nur Mist, dann Konter, dann haarscharf vorbei - und das geht dann
immer so weiter, über 10 Aufnahmen und mehr.
Schließlich geht die eigene Zuversicht in die Binsen, wäh-rend
der andere ein Supergefühl hat, alles läuft bei ihm
wie geschmiert und er baut sich mental immer besser auf. Sinnlos,
darüber zu lamentieren - ebenso wenig über den Tisch,
das Raumklima, die Art des Gegners, die Zuschauer - all das und
noch viel mehr muss man einfach so akzeptie-ren, wie es nun einmal
ist. Dazu gehört, ganz wichtig, auch die eigene momentane
Form; sie ist nämlich u. a. ebenfalls zufallsbedingt –
verlangen Sie sich daher nicht zu viel ab.
Das Tröstliche daran: Die ganze Sache kann jederzeit
auch wieder total in die andere Richtung umkippen – und
auf den Moment sollten Sie hoffen und müssen Sie gewappnet
sein. Einmal mehr: Gelassenheit und Geduld!
Wenn Sie hier emotional zu sehr einsteigen, verschlechtern Sie
Ihr leider so schon mäßiges Spiel immer noch mehr.
Also Schluss damit, so schwer es auch fällt. Um ganz per
sönlich zu werden: "Ich will nichts mehr davon hören."
Zu Ihrer Entspannung einige kleine Stories:
Ein guter Bekannter (GD s. Zt. knapp 0.8) berichtete von einem
Mannschaftsturnier, bei dem er sage und schreibe 20 Fehlauf-nahmen
in Folge hatte, während sein Gegner inzwischen bereits 25
Pkte erzielte. Zu diesem Zeitpunkt dachte er allen Ernstes,
"Es sollte mich nicht wundern, wenn ich heute 40 : 0 verliere"
– und nach einigem Nachdenken: "Na ja und?
Davon geht die Welt doch auch nicht unter."
Er bemühte sich also trotz allem, ruhig zu bleiben und versuchte,
weiter ordentlich zu spielen. Schließlich drehte sich das
Blatt und er spielte den Rest der Partie mit 1,6 D, was beinahe
noch zum Sieg gelangt hätte. Nach der Partie kam der Schiedsrichter
der Gegenmannchaft auf ihn zu und gratulierte ihm zu seinem Verhalten
am Tisch: "Ich habe bisher noch nie erlebt, dass jemand
so viel unglückliche Ausfälle nacheinander zu verkraften
hatte, dennoch ruhig blieb und sich immer erneut bemühte.
Die allermeisten von uns wären wohl total ausgeflippt."
Und der Kommentar meines Freundes dazu: "Ich war ganz
stolz auf mich, fast mehr als wenn ich gewonnen hätte."
Ich selbst habe in meiner Jugend ein Turnier miterlebt, bei dem
jemand aus der damaligen 3. Spielklasse sogar 32 Fehlaufnahmen
in Folge machte, aber das Gesamt-Turnier später doch noch
mit einem GD von 0,6 gewann.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit.
Dass man selbst als Weltklassespieler u. U. lange Durststrecken
überstehen muss, zeigte die DM im Jan. 2003. Im 4. Satz des
Endspiels gegen Horn verlor St. Galla mit 1 : 15 in 12 Aufn.,
hatte also von 13 Stößen 12 Fehlversuche - kaum zu
glauben.
Den 5. und entscheidenden Satz gewann er dann mit 15 : 14. Beim
Golf: Es passiert nicht selten, dass jemand an einem Tag Platz-Rekord
spielt, am nächsten dagegen unter 130 Teilneh-mern fast Letzter
ist (entspr. beim reiband: ca. 4.0 D zu 0.3 D). Glauben Sie ,
der hätte inzwischen das Spiel völlig verlernt?
Betrifft "Aussetzer".
a) im Entscheidungssatz des Endspiels eines Grandprix-Turniers
in der 2. JH 2002, die Kontrahenten gehörten zu den Top 5
der Weltrangliste, passierte Folgendes: Die ersten beiden Aufnah-men,
insgesamt also 4 Stöße (incl. Anfangsstoß), wurden
ausge-lassen, obwohl es sich um wirkliche Sitzer handelte.
b) Als Christian Rudolph seine Weltmeisterschaft
gegen Sanchez gewann, ließen beide am Ende des Entscheidungssatzes
mehrfach leichte Bälle aus, ganz offensichtlich aus nervlichen
Gründen.
c) Selbst ohne Druck ist im normalen Partie-Verlauf
gar nicht so selten zu beobachten, das auch absolute Weltklassespieler
uner-klärlicherweise leichte Bälle verfehlen. Vielleicht
haben sie gerade an was anderes oder zuviel gedacht. Der Mensch
ist eben keine Maschine.
A b e r : Ihren Durchschnitt spielen sie trotzdem!
Fazit
Hören Sie auf, sich mit Dingen zu quälen, die Sie doch
nicht ändern können – nehmen Sie es, mit Gelassenheit,
einfach hin. Machen Sie den Kopf frei für das, worum Sie
sich echt bemühen sollten: Ein besserer Billardspieler
zu werden – und während der Partie selbst:
Versenken Sie sich möglichst tief in Ihr Spiel –
und, egal wie es läuft, "have fun".
Da nämlich liegen die wirklichen, tieferen Ursachen. Arbeiten
Sie an Ihrer Vorbereitung, dem Zielen, dem Stoß, der Dessinwahl,
Dessinvielfalt, Taktik usw. Näheres zu diesem Thema finden
auch Sie auf Tafel 10 dieses Studios. Wenn Sie
hier weiter kommen, steigt der Durchchnitt automatisch.
Ich wundere mich immer wieder, wie wenig lernbereit gerade die
Spieler sind, welche am meisten raisonnieren.
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